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PD Dr. Ute Seeland: Wichtig auch für KI? Erkenntnisse aus der Kardiologie, aus der Hormonforschung

Die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin begab sich in ihrem Vortrag auf die Suche nach Anwendungsfällen für Künstliche Intelligenz in ihrem Fach, der Kardiologie, "weil wir alle wissen, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache Nummer eins sind". Dennoch werden sie von Frauen häufig als weniger bedrohlich wahrgenommen werden als Krebs-Erkrankungen - das kann ein tödlicher Irrtum sein.

Zwar ist die Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen bei Männern höher als bei Frauen; in der geschlechtersensiblen Forschung weiß man allerdings, dass Frauen bei fast allen kardiologischen Erkrankungen im Krankenhaus in den ersten 30 Tagen deutlich häufiger versterben als Männer, also eine höhere Letalität aufweisen. Auf der Suche nach den komplexen Gründen könnte KI Hilfestellung leisten.

"Könnte": Denn nach Seelands Beobachtung profitieren Patienten bei KI-Anwendungen bisher nur im Konjunktiv. Zwar wird KI auf Seiten der Kostenträger bereits eingesetzt. "Aber diese Daten bleiben bei den Krankenkassen hängen", kritisierte Seeland.

In der Medikamentenentwicklung und -forschung könnte KI dabei helfen, die Wirkung von Medikamenten individuell berechnen. "Das wäre ein Vorteil gerade hinsichtlich der Polypharmazie in der Kardiologie", so Seeland. Auch bei der Vorhersage von Unfall- und Krankheitsrisiken werde bereits KI eingesetzt. Das sei vor allem für Versicherungen interessant und könne Kosten im Gesundheitssystem einsparen. "Messbare Gesundheits-Verbesserungen der Patient:innen ergeben sich jedoch kaum."

An geschlechtersensible Algorithmen stellte Seeland generell die Anforderungen, Qualitätsstandards zu berücksichtigen, eine transparente Funktionsweise zu besitzen und ausgewogene Datensätze nutzen.

Bei der Nutzung von sogenannten Wearables werden zwar viele Daten generiert, aber deren Aussagekraft zog Seeland in Zweifel. Sie warnte auch davor, die KI allein als Mittel zur Kosteneinsparung zu verstehen, indem nur nach dem optimalen Behandlungspfad gesucht werde, von dem die allermeisten profitierten, der aber Minoritäten nicht berücksichtige.

Auch Seeland plädierte deshalb für Daten, die nicht nur das biologische, sondern auch das soziokulturelle Geschlecht erfassen. Gerade bei bei den Herzklappen-Erkrankungen sei das Gender Data Gap aber noch sehr groß. "Das wird die nächste Epidemie werden", warnte Seeland. Frauen seien stark betroffen von Aortenklappenstenosen, die viel zu spät erkannt werden. Dazu bedarf es allerdings nicht unbedingt der digitalen Medizin. Es würde schon reichen, wenn Ärzte häufiger zum Stethoskop griffen.

Zum Schluss ihres Vortrags brach Seeland noch eine Lanze für einen systembiologischen Ansatz: Für geschlechtersensible Medizin sei es wichtig, von der Organ-bezogenen Sichtweise wegzukommen, "um sozusagen den Level 1 vom Binär-Geschlecht auf Level 2 zu heben, dass wir die Frauen in vier Stoffwechselzustände (prämenopausal, perimenopausal, postmenopausal und schwanger) einteilen."

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